Mit 70 Millionen Betroffenen ist der Graue Star die weltweit häufigste Ursache für Blindheit und schwere Sehbehinderungen. Allein in einem Jahr werden weltweit mehr als 30 Millionen Kataraktoperationen durchgeführt. „Die Belastung durch den Grauen Star ist weltweit allerdings ungleich verteilt, da Erblindungen aufgrund eines Katarakts in Ländern des Globalen Südens etwa zehnmal häufiger sind als in Ländern mit hohem Einkommen“, sagt Privatdozent Dr. Maximilian Wintergerst von der Augenklinik des Universitätsklinikums Bonn (UKB), der auch an der Universität Bonn forscht. „Vor diesem Hintergrund bleibt die Behandlung des Grauen Stars im Globalen Süden weiterhin eine wichtige und große Herausforderung“, sagt Wintergerst.
Ressourcenschonende Konzepte zur Verbesserung der OP-Ergebnisse benötigt
„Die chirurgischen Ergebnisse der Operation des Grauen Stars im Globalen Süden sind jedoch mitunter schlecht, was vor allem auf eine unzureichende Ausbildung zurückzuführen ist. Je nach Länderkontext sind bei bis zu 30 bis 50 Prozent der Betroffenen, die sich einer Operation unterziehen, die chirurgischen Ergebnisse unbefriedigend“, erklärt Wintergerst. „Daher ist es dringend notwendig, die OP-Ergebnisse dort zu verbessern“. Die Videoaufzeichnung von Operationen ermöglicht eine nachträgliche Aufarbeitung des Operationsverlaufs, videobasiertes Training und die Überwachung der OP-Qualität und steht nachweislich in direktem Zusammenhang mit der Verbesserung der chirurgischen Ergebnisse: „Sie ist jedoch teuer und daher in der Regel in Ländern des Globalen Südens nicht verfügbar.“
Im Rahmen eines gemeinschaftlichen Forschungsprojektes des UKB, der Universität Bonn, der Sankara Eye Foundation Indien und von Microsoft Research India wird nun ein Algorithmus zur automatischen Auswertung von OP-Videos der im Globalen Süden gängigen OP-Technik des Grauen Stars entwickelt. Dieser Algorithmus soll nicht nur mit konventionellem Bildmaterial, sondern auch mit Videos, die von speziell an OP-Mikroskopen angebrachten Smartphones aufgenommen wurden, funktionieren. Hierdurch erhoffen sich die Forschenden, langfristig die Katarakt-OP-Ergebnisse an Gesundheitseinrichtungen in Indien und anderen Ländern des Globalen Südens zu verbessern.
Bislang keine KI für Analyse der üblichen OP-Technik im Globalen Süden verfügbar
Als ersten wichtigen Meilenstein führten sie dazu eine systematische Literaturrecherche zu bisherigen Algorithmen zur automatischen Videoanalyse von Katarakt-Operationen durch. Es gibt erste, vielversprechende Ansätze, bislang wurden jedoch nur Videos aus Ländern mit einkommensstarken Gesundheitssystemen verwendet. „Die untersuchten Studien wiesen große Qualitätsunterschiede auf und sind hinsichtlich der Replikation herausfordernd, da es nur wenige öffentliche Datensätze gibt und nur selten der Quellcode veröffentlicht wird“, sagt Prof. Dr. Thomas Schultz, Co-Autor der Studie, Arbeitsgruppenleiter am b-it und Institut für Informatik der Universität Bonn sowie Principal Investigator am Lamarr-Institut für Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz. „Unsere Literaturrecherche zeigt, dass die Verfolgung von OP-Instrumenten und die OP-Phasenerkennung gut funktionieren, aber die Bewertung chirurgischer Fähigkeiten und Komplikationen aktuell noch eine Herausforderung sind.“ Diese erste Übersichtsarbeit zu KI bei Katarakt-OP Video-Analyse ist nun bei Translational Vision Science and Technology (TVST) veröffentlicht.
Der nächste Schritt ist, einen Algorithmus zur automatischen Analyse von OP-Videos der im Globalen Süden gängigen Graue Star OP-Technik zu entwickeln. Wie die Forschenden der Universität Bonn und des UKB bereits zeigen konnten, verbessern Bildaufnahmen von Smartphones die augenheilkundliche Versorgung beispielsweise in Indien. „Daher könnte die kostengünstige Smartphone-basierte Videoaufzeichnung von Katarakt-Operationen eine zielführende Lösung sein, um die Ausbildung und die OP-Ergebnisse in Ländern des Globalen Südens zu verbessern“, ergänzt Prof. Dr. Frank Holz, Direktor der Augenklinik des UKB. „Ein Vergleich Smartphone-basierter mit etablierten konventionellen Videoaufzeichnungs-Systemen ist jedoch notwendig, um die Machbarkeit einschließlich der Qualität der gewonnenen Daten zu beurteilen.“