Universität Bonn

Medizinische Fakultät

17. März 2023

Exaktere Krebsdiagnose für Kinder und Jugendliche Exaktere Krebsdiagnose für Kinder und Jugendliche

Eine Studie belegt den Nutzen eines am Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg, am Deutschen Krebsforschungszentrum und am Universitätsklinikum Heidelberg entwickelten Verfahrens für die Krebsdiagnose. Forschende um den Neuropathologen Prof. Dr. Torsten Pietsch von der Universität Bonn waren beteiligt. Die Studie ist nun im Journal Nature Medicine erschienen.

Je nach Lage im Zentralen Nervensystem - gehören Tumoren auch zu verschiedenen Methylierungsklassen (dargestellt in unterschiedlichen Farben).
Je nach Lage im Zentralen Nervensystem - gehören Tumoren auch zu verschiedenen Methylierungsklassen (dargestellt in unterschiedlichen Farben). © Abbildung: Dominik Sturm/KITZ
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Krebs bei Kindern und Jugendlichen ist anders als bei Erwachsenen, das zeigt sich auch in seiner Vielgestaltigkeit. Über 150 Unterarten gibt es bei Tumoren des Zentralen Nervensystems im Kindesalter – ein Vielfaches mehr als bei Erwachsenen. „Je nach Tumorklasse schlagen Strahlen- und Chemotherapie auch ganz unterschiedlich an. Die Tumoren so präzise wie möglich zu klassifizieren, ist für eine wirksame Behandlung daher ganz entscheidend“, betont der Leiter der Studie David Jones vom Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) und vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).

Lange war der Blick durch das Mikroskop ausschlaggebend für die Krebsdiagnose. Gemäß der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation WHO wurden die meisten Hirntumoren bis vor Kurzem hauptsächlich anhand ihrer Gewebeeigenschaften in Tumorgruppen eingeordnet. „Dieses Expertenwissen ist auch nach wie vor unverzichtbar für die Diagnosestellung. Es ist jedoch nicht möglich, alle Tumorarten allein anhand ihrer Gewebestruktur genauer zu klassifizieren. Zudem sind einige Tumorarten so selten, dass selbst erfahrene Pathologinnen und Pathologen sie so gut wie nie zu sehen bekommen“, sagt Jones.

Der unter dem Namen „Heidelberg Brain Tumor Classifier“ bekannte Algorithmus wertet sogenannte DNA-Methylierungen im Erbgut des Tumors aus. Das komplexe Muster an Methylmarkierungen, mit denen unsere DNA versehen ist, bildet eine zweite Informationsebene – neben der Erbinformation, die in der Basenfolge der DNA festgelegt ist. Die Methylierungen markieren Gene und die Zelle kann dadurch deren Aktivität steuern. Eine Vielzahl an Studien hat bereits gezeigt, dass sich nicht nur Krebszellen und gesunde Zellen in ihrem Methylierungsmuster unterscheiden, sondern auch verschiedene Tumorarten.

Aufgabe der Künstlichen Intelligenz (KI) ist es, anhand der Methylierungsdaten für jede Tumorgruppe einen möglichst unverwechselbaren Fingerabdruck zu identifizieren, um damit die Diagnose zu verfeinern. Seit dem ersten Onlinegang hat der Brain Tumor Classifier mehr als 100.000 Tumorproben ausgewertet, die weltweit auf die Plattform www.molecularneuropathology.org zu Forschungszwecken hochgeladen wurden. Die aktuell vorliegende Studie kommt jetzt zu dem Ergebnis, dass das Verfahren die Genauigkeit der bislang etablierten Diagnoseverfahren entscheidend verbessert und somit eine noch stärker personalisierte Behandlung ermöglicht.

Das Institut für Neuropathologie der Universität Bonn und das daran verankerte Hirntumor-Referenzzentrum waren an der Studie maßgeblich beteiligt. „Wir in Bonn haben die während der initialen Operation gewonnenen Proben untersucht und eine state-of-the-art Referenz-Diagnose gemäß der WHO-Klassifikation für Tumoren des Zentralen Nervensystems gestellt“, sagt Prof. Dr. Torsten Pietsch vom Institut für Neuropathologie der Universität Bonn.

Die Forschenden haben die Proben nach Heidelberg weitergeleitet, wo unabhängig zusätzlich eine Methylierungs-basierte Klassifikation und Tumor-DNS-Sequenzierung durchgeführt wurde. Nicht eindeutig einzuordnende Fälle wurden dann unter Einbeziehung der behandelnden Klinik und der Neuroradiologen in Telefonkonferenzen besprochen. Pietsch: „Es stellte sich heraus, dass diese neuen Verfahren bei einem erheblichen Teil der Kinder die Präzision der Diagnostik von Hirntumoren erhöht, und somit die Grundlage bereitet, dass die Kinder eine maßgeschneiderte, möglichst effektive, aber auch möglichst schonende Therapie erhalten können.

Es ist die erste Studie, welche die Zuverlässigkeit von Methylierungsprofilen für die Krebsdiagnose bei Kindern auch durch längere Beobachtungen der Krankheitsverläufe überprüfen konnte. Bei 1.200 neu diagnostizierten Hirntumoren im Kindes- und Jugendalter verglich das Forscherteam die anhand bisheriger WHO-Kriterien gestellte Diagnose mit dem Ergebnis der KI. Bei der Hälfte der Patientinnen und Patienten stimmte die Diagnose grundsätzlich mit der ursprünglichen WHO-Klassifikation überein, die KI-Analyse ermöglichte aber eine genauere Klassifizierung des Tumors in bestimmte Untergruppen. „Einige der identifizierten Methylierungsmuster sind so spezifisch, dass die KI damit sogar Aussagen zum geschätzten Alter und Geschlecht des Kindes sowie der Lage des Tumors treffen kann“, erläutert Dominik Sturm, Hauptautor der Studie und Kinderarzt am KiTZ und UKHD.

Am Institut für Neuropathologie der Universität Bonn ist seit 1994 das Hirntumor-Referenzzentrum (HTRZ) der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie angesiedelt. Mitarbeiter des HTRZ arbeiten seit Jahren an der Klassifikation von Gehirntumoren des Kindes-und Erwachsenenalters durch die Weltgesundheitsorganisation WHO mit. Erst kürzlich wurde eine neue Ausgabe der WHO-Klassifikation von Tumoren des zentralen Nervensystems veröffentlicht. Sie beruht erstmals auf einem modernen, vielschichtigen Ansatz, in dem jetzt auch Methylierungsmuster fest verankert sind.

Pressemitteilung des kitz Heidelberg: https://www.kitz-heidelberg.de/newsroom/alle-meldungen/detail/ki-gestuetzte-krebsdiagnose-fuer-kinder-und-jugendliche 

Sturm, D. et al. Multiomic neuropathology improves diagnostic accuracy in pediatric neuro-oncology. In: Nature Medicine (Online Publikation March 16, 2023) DOI: 10.1038/s41591-023-02255-1

Prof. Dr. Torsten Pietsch
Institut für Neuropathologie der Universität Bonn
Hirntumor-Referenzzentrum
Tel. 0228/287-16602
E-Mail: t.pietsch@uni-bonn.de

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